Kreative Interpretationen zu ausgewählten Geschichten aus Ovids Metamorphosen
Helden, Nymphen, selbstverliebte Schönlinge, eifersüchtige und wetteifernde Götter, die Erschaffung der Welt – wer die Metamorphosen des römischen Dichters Publius Ovidius Naso – kurz Ovid – liest, findet eine Vielzahl an spannenden, mythologischen Geschichten der griechisch-römischen Antike, die noch Jahrhunderte später die westliche Kultur stark geprägt haben. In einem Meisterwerk römischer Dichtkunst erklärt Ovid etwa, was es mit einem Narzissten auf sich hat, warum Daedalus und Ikarus das Fliegen erfinden mussten oder wie das Sternenbild des großen Bären entstanden ist.
Im Lateinunterricht hatten die Schülerinnen und Schüler des Koop-Kurses EF im vergangenen Schuljahr die Gelegenheit, drei verschiedene Geschichten aus Ovids Metamorphosen kennenzulernen. Selbstredend erarbeiteten sie sich den Inhalt – Corona zum Trotz – anhand des lateinischen Originals und untersuchten, mit welcher sprachlichen Geschicktheit Ovid seine Erzählungen in Szene setzt, um nicht zuletzt dann auch den jeweiligen Mythos auf kreative Weise neu zu interpretieren.
Bei einem der gelesenen Mythen handelt es sich um eine tragische Liebesgeschichte. Im altertümlichen Babylon verlieben sich der junge Pyramus und das hübsche Mädchen Thisbe, die zufälligerweise auch direkte Nachbarn sind, ineinander, doch sind ihre Eltern gegen diese Liebschaft. Ein Riss in der Wand, die die beiden Häuser voneinander trennt, ermöglicht den Teenagern, dennoch miteinander zu reden. Als sie die aktuelle Lage Leid sind, fassen sie den Plan, des Nachts heimlich auszubüxen und sich an einem Maulbeerbaum außerhalb der Stadtmauern zu treffen. Eine blutbefleckte Löwin sorgt aber für ein großes Missverständnis und in der Folge für ein tragisches Ende der beiden Liebenden – zuerst bringt sich Pyramus um, wobei dessen Blut, wie Ovid es kunstvoll und grotesk zugleich schildert, die zuvor weißen Früchte des Maulbeerbaums schwarz färbt. Als Thisbe ihren sterbenden Geliebten vorfindet, bringt auch sie sich um. Das Ende der Tragödie, das auch eine Vorlage für Shakespeares berühmtes Bühnenstück „Romeo and Juliet“ liefert, bot Adriano Abbondandolo den Anlass zu folgendem Bild auf Leinwand:
Prägnant ist hier die schwarze Farbe, die zum einen die Verwandlung der Maulbeeren am Baum und zum anderen den Tod der Liebenden symbolisiert. Die Färbung der Maulbeeren ist auch Motiv des fHaikus von Lisa Uhlenhut (ein japanisches Gedicht, das eine exakt vorgegebene Silbenzahl pro Vers beinhaltet):
Auch mehr als zweitausend Jahre später noch können Ovids Verwandlungsgeschichten uns faszinieren und überlassen es unserer eigenen Kreativität, einen Sinn in ihnen zu finden. Gerade das macht sie vielleicht auch so besonders!
Christian Dick